Unvollständige Antwort des Innenministers auf eine Kleine Anfrage zu linksextremistischen Gruppierungen war Verfassungsverstoß
Der NPD-Landtagsabgeordnete Andreas Storr setzte sich heute vor dem sächsischen Verfassungsgerichtshof gegen die Staatsregierung mit einer Organklage durch, mit der er die unvollständige Beantwortung einer Kleinen Anfrage angegriffen hatte. Storr hatte sich Anfang des Jahres nach linksextremistischen Gruppierungen erkundigt, die vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden. Innenminister Ulbig hatte in seiner Antwort lediglich lapidar auf die Angaben im aktuellen Jahresbericht des Amtes und im “Sächsischen Handbuch zum Extremismus und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen” verwiesen. Außerdem berief sich der Minister auf Geheimhaltungsvorschriften. (Drucksache 5/1203)
Die viel zu knappe Antwort erschien dem NPD-Landtagsabgeordneten verdächtig. Er verglich deshalb die Antworten der Staatsregierung auf seine Anfrage mit einer früheren ähnlichen Anfrage des Grünen-Abgeordneten Johannes Lichdi aus der 4. Wahlperiode. Dabei fiel ihm auf, daß einige der damals aufgeführten Organisationen weder im aktuellen Jahresbericht noch im Sicherheitshandbuch auftauchten, auf die das Innenministerium verwiesen hatte.
Um ganz sicher zu gehen, fragte Storr nun ganz konkret nach den fehlenden Gruppierungen. Es stellte sich in der weiteren Antwort der Staatsregierung heraus, daß die Organisationen nach wie vor Beobachtungsobjekt sind. Damit war erwiesen, daß die erste Antwort der Staatsregierung unvollständig war, was nach Auffassung von Andreas Storr eine Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Fragerechts von Landtagsabgeordneten darstellte.
Diese Überzeugung wurde nun vom Verfassungsgericht klar bestätigt. Es stellte eine Verletzung der Rechte des NPD-Abgeordneten aus Artikel 51 Absatz 1 Satz 1 der Sächsischen Verfassung fest. Auch die besonderen Geheimhaltungsbedürfnisse führen nicht einfach dazu, daß die Staatsregierung nicht antworten muß. Der Hinweis, daß die geheim tagende Parlamentarische Kontrollkommission, der kein NPD-Vertreter angehört, mehr Auskünfte bekommen könnte, sei ebenfalls keine ausreichende Begründung für die unvollständige Beantwortung.
Über den scheinbar eher unspektakulären Einzelfall hinaus hat das Urteil auch eine grundsätzliche Bedeutung, weil die höchsten sächsischen Richter damit die Beantwortungspflicht der Staatsregierung klarstellten. Insbesondere in den letzten Monaten kam es immer wieder zu Fällen von unzureichenden, patzigen bis regelrecht frechen Antworten auf die Anfragen einzelner Abgeordneter bis hin zur kompletten Verweigerung einer Antwort.
Dazu hatte das Verfassungsgericht durch eine Entscheidung vom Frühjahr 2010 allerdings auch selbst mit beigetragen. Die Richter erklärten damals sogenannte Kettenanfragen, also durchnumerierte Fragen zu ein und demselben Sachverhalt für unzulässig. Diese Entscheidung scheint für die Staatsregierung das Signal dafür gewesen zu sein, Kleine Anfragen noch restriktiver zu beantworten als in der Vergangenheit ohnehin schon. Von dieser Praxis sind nicht nur Abgeordnete der NPD-Fraktion betroffen, sondern auch Parlamentarier anderer Fraktionen, was landtagsintern inzwischen für erheblichen Unmut sorgt.
Das heutige Urteil setzt der Regierung nun gewisse Schranken und stellt klar, daß parlamentarische Anfragen vollständig beantwortet werden müssen.
Neben der Verkündung des Urteils im Fall Storr fanden heute vor dem Verfassungsgerichtshof in Leipzig heute auch mehrere mündliche Verhandlungen zu Organklagen von drei sächsischen NPD-Abgeordneten statt.
In der ersten Verhandlung ging es um Ordnungsrufe in Landtagsdebatten gegen den NPD-Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel sowie die Abgeordneten Winfried Petzold und Andreas Storr. Der Ordnungsruf der CDU-Vizepräsidentin Andreas Dombois gegen Petzold war besonders absurd. Anlaß war die Bezeichnung “anglo-amerikanischer Vernichtungsexzeß” für den Terrorangriff von Amerikanern und Briten am 13. Februar 1945 und den folgenden Tagen. Nach Auffassung der Landtagsverwaltung soll hier eine Nähe zum Leugnen oder Relativieren des Holocaust gegeben sein.
Die zweite Verhandlung beschäftigte sich mit dem aufsehenerregenden Ausschluß des NPD-Fraktionschefs Holger Apfel am 17. Juni 2010 für 10 Sitzungstage. Apfel hatte in einer von den Nationaldemokraten beantragten Aktuellen Debatte über den “Schurkenstaat Israel” aufgrund seiner Kritik an der aggressiven Vertreibungspolitik des Zionistenstaates zunächst Ordnungsrufe durch den Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler (CDU) erhalten. Schließlich war ihm – nach seiner Auffassung rechtswidrig – das Wort entzogen worden. Wie Apfel heute vor Gericht bekräftigte, ging er davon aus, daß die Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten unzulässig waren und verließ deshalb trotz Aufforderung zunächst nicht den Sitzungssaal. Daraufhin verhängte das Landtagspräsidium die höchste parlamentarische Ordnungsmaßnahme, den Ausschluß von 10 Sitzungstagen des Landtages und seiner Ausschüsse.
Die Abgeordneten und ihr Anwalt Ingmar Knop verwiesen auf den hohen Rang der Meinungsfreiheit. Dieses Grundrecht müsse auch im parlamentarischen Alltag beachtet werden. Der Abgeordnete Andreas Storr führte aus, daß nach seiner Auffassung Parlamentarier nicht schlechter gestellt werden dürften, als normale Bürger, denen das Grundrecht der Meinungsfreiheit zugebilligt wird. Holger Apfel kritisierte das Verhalten des Landtagspräsidenten und seiner Stellvertreter als Zensurmaßnahmen, bei denen es nicht um die Würde des Parlaments, sondern um politische Meinungen gehe, die durch Ordnungsmaßnahmen unterbunden werden sollen. Apfel verwies zudem auf die willkürliche Anwendung der Geschäftsordnung. So sei z.B. die CDU-Vizepräsidentin Andrea Dombois nicht eingeschritten, als ihr Parteifreund und Fraktionskollege Robert Clemen den NPD-Fraktionsvorsitzenden mehrfach als “Penner” bezeichnet hatte.
Unterdessen kam es gestern zu einem Novum in der Praxis der Ordnungsrufe gegen NPD-Abgeordnete. Am Mittwoch hatte wiederum Andreas Storr von Vizepräsident Horst Wehner (Die Linke) einen Ordnungsruf erhalten, weil er in seiner Rede zum NPD-Antrag “Leiharbeit stoppen” von “Leiharbeiter-Sklavenhandel” gesprochen hatte. Dagegen hatte Storr sofort Einspruch erhoben. Vizepräsident Wehner zeigte Größe und nahm den Ordnungsruf nachträglich zurück.
Das Verfassungsgericht wird seine Urteile am 3.12.2010 verkünden.
Holger Szymanski
Pressesprecher der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag
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